
Seit Oktober 2013 sind Amir Nazir, seine vier Kinder und seine Frau in der Schweiz. Früher lebten sie im syrischen Aleppo – bis die Familie wegen des Kriegs um ihr Leben fürchten musste. Sie flohen über die Türkei in die Schweiz und stellten ein Asylgesuch.
2017 sind 26% der in der Schweiz Asylsuchenden als B-Flüchtlinge anerkannt worden (Stand Ende Juni). Zusätzlich dazu gibt es eine sogenannte «Schutzquote»: Darunter fallen die vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge sowie vorläufig Aufgenommene – sie erhalten eine F-Bewilligung (siehe Kästchen). Im schweizerischen Alltag hat der Asylstatus weitreichende Auswirkungen auf die berufliche, soziale und gesellschaftliche Integration. – Die Familie Amir erhielt eine F-Bewilligung als vorläufig Aufgenommene.
Keine Chance auf eine Anstellung
Wie die anerkannten Flüchtlinge haben auch vorläufig Aufgenommene Anspruch auf vom Bund subventionierte Integrationsmassnahmen. Von dieser Unterstützung profitierte Nazir Amir: Er absolvierte Deutschkurse. Es fiel ihm leicht, die neue Sprache zu erlernen, schnell erreichte er das Niveau A2 (Europäischer Referenzrahmen für die deutsche Sprache). Im Kanton Luzern ist dies der Zeitpunkt, die berufliche Integration anzugehen. Mit Hilfe einer Sozialarbeiterin des SAH Zentralschweiz begann Nazir Amir, Arbeit zu suchen. Naheliegend war, im Fotobereich zu arbeiten – in Aleppo hatte er ein eigenes Fotofachgeschäft mit zwei Angestellten geführt. Doch eine Stelle zu finden, erwies sich als ausgesprochen schwierig, ihm fehlt eine in der Schweiz anerkannte Ausbildung. Selbst ein Praktikumsplatz liess sich nicht finden, jedoch konnte Nazir Amir eine Woche lang in einem Krienser Fotofachgeschäft schnuppern. Mit dem Zeugnis aus dieser Schnupperwoche bewarb er sich in vielen Fotoateliers – ohne Erfolg. «Ich hatte keine Chance auf eine Anstellung. Arbeitgeber/-innen bevorzugen Personen, die einen B-Status haben. Sie denken, diese bleiben längerfristig in der Schweiz. (Anmerkung der Redaktion: De facto bleiben 90% der Personen mit F-Status dauerhaft in der Schweiz.) Da entschloss ich mich, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen», erzählt er. Das Fachwissen und jahrelange Berufserfahrung besass er schliesslich.
Als Flüchtlingsperson die Bewilligung für eine selbstständige Erwerbsarbeit zu erhalten, ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Die Sozialarbeiterin des SAH Zentralschweiz vermittelte Nazir Amir den Kontakt zu adlatus, einem Netzwerk erfahrener Führungs- und Fachkräfte, die nicht mehr im aktuellen Tagesgeschäft eingebunden sind. «Der mir zugeteilte Coach hat mich sehr unterstützt. Er hat die nötigen Kontakte vermittelt, um die Bewilligung zur Selbstständigkeit zu erhalten, er hat mir beim Handelsregistereintrag geholfen und hat mit mir zusammen einen Businessplan erstellt», erzählt Nazir Amir.
Ein halbes Jahr dauerte es, bis er die Bewilligung zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit erhielt. Die Bewilligung wird jährlich überprüft. Noch für 12 Monate erhalten Nazir Amir und seine Familie, ergänzend zum selbstständig erwirtschafteten Einkommen, wirtschaftliche Sozialhilfe. Sollte Nazir Amir nach dieser Zeit wirtschaftlich nicht auf eigenen Beinen stehen, wird ihm die Bewilligung zur Ausübung einer selbstständigen Berufstätigkeit wieder entzogen.
Eine weitere Hürde war, dass vorläufig Aufgenommene keine Waren mit Ratenzahlungen erwerben dürfen. Nazir Amir brauchte eine Fotoausrüstung, konnte sie aber nicht auf einmal bezahlen. Der adlatus-Coach verhalf ihm zu einem Darlehen der Wirtschaftsförderung Luzern und einer KMU, nun konnte er die unentbehrliche Ausrüstung erwerben. Den Vorschuss wird er abbezahlen. «Selbst eine SIM-Karte für ein Handy» – auch das zentral für einen Selbstständigen – «darf ich mit einem F-Ausweis nicht kaufen», erzählt er weiter. Auch auf die Auftragssuche wirkt sich der F-Status erschwerend aus: «Ich habe viele Bekannte und Verwandte in Deutschland. Dort würde ich sicher Aufträge erhalten – beispielsweise könnte ich Hochzeiten fotografieren. Jedoch darf ich die Schweiz nicht verlassen.»
Eingeschränkte Bewegungsfreiheit
Am schwierigsten seien diese Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, sagt er. Auch sein 18-jähriger Sohn Joudi bekam die Einschränkungen zu spüren: Zusammen mit Freunden wollte er einen Fasnachtsanlass in Wolhusen besuchen. Man verwehrte ihm den Einlass aufgrund der F-Bewilligung. Joudi, Spieler beim FC Entlebuch, durfte auch nicht mit, als seine Mannschaft zu einem Freundschaftsspiel nach Barcelona aufbrach. «Die Kinder sind verunsichert und sie haben Angst, wieder nach Syrien zurückgeschickt zu werden.»
Enges Familienbudget
Aufs Familienbudget wirkt sich der F-Status stark aus: «Es wird am Ende des Monats sehr knapp», erzählt der Familienvater. Es sei für ihn und seine Frau kein Problem, sich einzuschränken, sagt Nazir Amir. «Aber die vier Kinder brauchen doch Essen und Kleider unabhängig davon, ob wir einen F- oder B-Status haben.»
Einfach ist es nicht, das Leben der Familie Amir. Doch sie sind dankbar, in der Schweiz Zuflucht gefunden zu haben. «Am wichtigsten ist für mich, dass meine Kinder eine gute Schulbildung erhalten dürfen und sich hier sicher fühlen», sagt Nazir Amir.
Geschrieben im Herbst 2017 für eine Publikation des SAH Zentralschweiz.
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