
«Rodi trifft seinen Mentor Hans seit zwei Jahren. Er hat sich sehr verändert. Jetzt hilft er in der Küche, sagt danke, ist ordentlich, macht Hausaufgaben.» Ayse K. freut sich. Ihr Sohn Rodi ist zehn Jahre alt und besucht die dritte Klasse. Vor zwei Jahren brachte er aus der Schule ein Anmeldeblatt fürs Mentoringprojekt «Munterwegs» mit nach Hause. «Kurz darauf hat mich Rodis Logopädin auf das Projekt angesprochen und es mir empfohlen», sagt Ayse K. «Die Idee hat mich überzeugt und ich habe Rodi angemeldet.»
Von «Munterwegs» erzählen können auch die achtjährige Vicky und ihre MentorinTheres. «Ich habe viel gelernt», sagt Vicky, «die Namen von Tieren, Lesen und Aussprechen.» Und Theres ergänzt strahlend: «Es ist soviel passiert die letzten Monate, es ist wunderbar.»
Kinder, die Unterstützung brauchen
Vicky und Rodi sind zwei von zehn Kindern, die an der ersten Durchführung des Mentoringprogramms «Munterwegs» im Herbst 2008 in der Gemeinde Emmen (LU) teilnahmen. Während acht Monaten sind sie in ihrer Freizeit regelmässig von Mentorinnen oder Mentorenbegleitetworden. In dieser ersten Durchführung haben sich ehrenamtlich tätige pensionierte Männer und Frauen als Mentoren engagiert. Mittlerweile profitieren auch Kinder in Risch/Rotkreuz (ZG) von diesem Programm, und auch die Mentorengemeinschaft hat sich vergrössert: Pensionierte, Frauen mittleren Alters und Studierende der Hochschule Luzern-Soziale Arbeit begleiten die Kinder. Letztere tun dies im Rahmen ihrer Ausbildung zu Sozialarbeitenden.
Kinder, die Zugang zum Mentoringprogramm haben, stammen aus ausländischen oder sozial benachteiligten Schweizer Familien. «Es sind Kinder, die Unterstützung benötigen, um sich optimal entwickeln zu können», sagt Karin Linder, Projektleiterin und Psychomotorik-Therapeutin an den Schuldiensten Emmen. «Einige haben im Alltag Mühe, da sie die deutsche Sprache nicht richtig sprechen. Sie werden ausgegrenzt oder sind wenig integriert. Andere brauchen dringend ein erwachsenes Vorbild, oder sie erfahren im Alltag wenig Förderung und Unterstützung.» «Munterwegs» ist ein Förderangebot im Rahmen der familienergänzenden Betreuung. «Die beteiligten Kinder profitieren sehr, und für ihre Familien ist das Angebot kostenlos.»
Karin Linder ist der Dreh- und Angelpunkt des Mentoringprogramms in der Gemeinde Emmen. Sie kennt die Schulstrukturen und ihre Schlüsselfiguren, sie vertritt das Mentoringprogramm nach innen. Haben Eltern ihre Kinder für «Munterwegs» angemeldet, klärt Karin Linder ab, wer das Angebot am dringendsten braucht. Dazu spricht sie sowohl mit den Eltern wie auch mit den Lehrkräften. «So können wir sicher sein, dass wirklich jene Kinder, die Unterstützung am nötigsten haben, davon profitieren.»
Mentorinnen und Mentoren, die sich als Vorbild eignen
Die Suche nach Mentorinnen und Mentoren läuft parallel zu den Kinderanmeldungen. Einfach zu finden sind sie nicht, diese Frauen und Männer, die bereit sind, einem Kind ein wenig Zeit zu schenken. Doch einmal mit dabei, sind sie begeistert: «Ich werde geschätzt, kann etwas geben, einem Menschen beistehen», sagtTheres, Vickys Mentorin. Und Hans, Rodis Mentor, schmunzelt: «Ich habe selber Neues entdeckt. Ohne Rodi hätte ich nie geschlittelt oder hätte mich nie im Eislaufen probiert.» In ihrer Aufgabe unterstützt werden die Mentoren mit regelmässiger Beratung, an Gruppen- und Weiterbildungsveranstaltungen.
Wie finden sich denn die Mentoren und die Kinder? «Besondere Mühe geben wir uns, zueinander passende Paare zusammenzuführen», antwortet Karin Linder auf diese Frage. Zentral ist dafür gute Menschenkenntnis. Bis jetzt hat das Projekt-Team dabei ein gutes Händchen gehabt–obwohl zwei Abbrüche seitens der Kinder zu verzeichnen sind. «Das trifft uns jeweils sehr und wir gehen der Frage nach, wie und warum es zum Programmabbruch kam.»
Die achtjährige Vicky hat nie an einen Abbruch gedacht. «Es hat mir gut gefallen. Bevor ich Theres kennengelernt habe, habe ich zu Hause in der Wohnung gespielt. Nun habe ich viele interessante Dinge gesehen: Wir waren spazieren, haben Schneebälle geworfen, waren im Zoo, im Hallenbad und im Naturmuseum», strahlt das Mädchen. Und Theres sagt: «Vicky ist viel selbstständiger geworden.» Das Mädchen freut sich darauf, bald in die dritte Klasse zu gehen. Sie will alles wissen. «Meine Lieblingstiere sind Kängurus und Pferde und Giraffen. Theres hat mir ein Buch über Tiere geschenkt», sprudelt es aus Vicky. Theres ergänzt: «Einmal im Monat gehen wir zusammen in die Bibliothek, Vicky nimmt immer fünf Bücher mit nach Hause.»
Brücke zwischen Elternhaus und Schule
Die Eltern dieser Kinder übergeben einer für sie fremden Person viel Verantwortung. Wie fühlen sie sich dabei? «Ich habe Theres vertraut», antwortet Vickys Mutter. «Ich konnte kein Deutsch. Theres ist eine gute Lehrerin. Jetzt ist sie eine wichtigePersoninunseremLeben–sieistwieeineGrossmuttivon Vicky.»
Vickys Mentorin erzählt: «Ich habe Vicky zweimal im Schulunterricht besucht. Dabei habe ich vonVickys Lehrerin erfahren, dass sie wenig spricht und sich kaum in den Unterricht einbringt.»Theres hat das Kind daraufhin ermuntert, in der Klasse laut zu sprechen und sich am Unterricht zu beteiligen. Projektleiterin Karin Linder bemerkt dazu: «Im Rahmen des Projektes besuchen unsere Mentorinnen und Mentoren ihre Schützlinge auch in der Schule. Zuweilen übernehmen sie wichtige Brückenfunktionen zwischen der Schule und dem fremdsprachigem Elternhaus.»
Miriam Hess, der Präsidentin des Vereins «Munterwegs», ist sehr an Qualität gelegen. «Wir streben nachhaltige Lösungen gesellschaftlicher Probleme an. Jede Durchführung wird sorgfältig begleitet und in Zusammenarbeit mit Hochschulen und Universitätenausgewertet.» Auf die Frage, wie es überhaupt zu diesem Mentoringprojekt kam, antwortet die Sozialwissenschaftlerin: «Leider ist die Chancengleichheit in unseren Schulen immer noch ein Wunschbild. Es gibt mehrere Studien, die aufzeigen, dass Kinder aus ärmeren, bildungsfernen und insbesondere aus Familien mit Migrationshintergrund in unserem Schulsystem deutlich benachteiligt werden. Hinzu kommt, dass Kinder aus Familien mit tiefem Einkommen oft auch weniger beim Lernen unterstützt werden. Sie verbringen ihre Freizeit seltener mit Aktivitäten, die ihre Entwicklung fördern. Damit sind diese Kinder nicht genügend für den Schulalltag vorbereitet.» Diese Ausgangssituation erschwert es den betroffenen Kindern, sich in der Schweizer Schulkultur zu integrieren. Die Leistungserwartungen orientieren sich in der Regel an der Mittelschicht und stellen somit für diese Kinder eine kaum zu bewältigende Hürde dar. Häufig ist hier ein Weg vorgezeichnet, der nicht aus der sozialen Ungleichheit hinausführt.
Die Kinder früh stärken
Kinder im Primarschulalter sind bereits fähig, ihre eigene Entwicklung und ihre sozialen Beziehungen aktiv mitzugestalten. Die persönliche und familiäre Situation, schulische Bedingungen, Freizeitangebote und die nächste Umgebung können – wie Studien bestätigen – diese Gestaltungspotentiale sowohl fördern als auch hemmen. «Hier setzen wir an», sagt Miriam Hess. ««Munterwegs» möchte einen positiven Impuls setzen. Wir verbessern die Startbedingungen von Kindern aus benachteiligten Verhältnissen und stärken diese Kinder und ihre Familien in ihren Integrationsbemühungen.»
Zahlreiche positive Erfahrungen bekräftigen das Projekt-Team auf seinem Weg: So sei es interessant zu beobachten, dass die Kinder in der Beziehung zu ihrer Mentorin oder ihrem Mentor aktiv an Entscheidungen mitwirken und somit ihre Selbstwirksamkeit stärken. Die Begleitung bietet den teilnehmenden Kindern auf verschiedenen Ebenen einen grösseren Gestaltungsspielraum und erweitert ihren Horizont. Die Mentorinnen und Mentoren nehmen Einfluss auf das Freizeitverhalten der Kinder, probieren mit ihnen neue Aktivitäten aus und bereichern sich so wechselseitig. «Einzelne Mentorinnen und Mentoren haben präventiv auf das Medienkonsumverhalten, die Ernährung und die Bewegung Einfluss genommen. Sie haben sich stark gemacht für die Kinder und das Gespräch mit den Familien gesucht, um die psychische und physische Gesundheit ihrer Schützlinge nachhaltig zu stärken.» Einzelne Mentoren haben sogar die Eltern ihrer Schützlinge davon überzeugt, gemeinsam mit ihnen eine Weiterbildungsveranstaltung zu besuchen und sie damit für den Austausch über pädagogische Themen gewonnen.
«Rodi ist spontaner geworden, selbstbewusster, er getraut sich zu wehren», sagt Rodis Mentor. Und Vickys Mentorin beschreibt es so: «Vicky ist jetzt mutiger.» Für diese beiden Paare – wie auch für viele andere – war nicht Schluss, als das Mentoringprogramm nach acht Monaten zu Ende ging. Sie treffen sich weiterhin regelmässig mit «ihren» Kindern. «Die im Mentoringprogramm aufgebauten Beziehungen sind in den meisten Fällen sehr stark», sagt Karin Linder. Manchmal wird die Mentorin, der Mentor auch zum Freund der Familie. Für das «Munterwegs»-Team ist klar: «Wir machen weiter. In Emmen haben uns Schule, Verwaltung und Politik sehr unterstützt. Das hat uns motiviert und ist zentral für den Erfolg. Wir hoffen, dass das Mentoringprogramm in weiteren Schweizer Gemeinden seinen Platz finden wird.»
Diesen Artikel habe ich fürs Mentoringprogramm MUNTERwegs verfasst, sie wurde in terra cognita 16/2010 publiziert.
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